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Manche, insbesondere die, die sich intensiv mit der Theologie und Mythologie auseinandersetzen, neigen dazu, die Götter, die nicht direkt aus der Linie von IHM und seinen Kindern hervorgegangen sind, als Emporkömmlinge zu kategorisieren. Diese Wesen, obwohl sie nicht die gleiche unerreichte Macht und Autorität besitzen wie ER und seine Nachkommen, verfügen dennoch über eine beachtliche Stärke und Einfluss. Ihre Kräfte sind möglicherweise nicht so überwältigend und allumfassend wie die der obersten Gottheit und seiner Nachfahren, doch sie sind in der Lage, mehr Einfluss und Macht auszuüben als jede Gesellschaft oder Nation, die auf Kandar existiert. Diese Emporkömmlinge sind in vielerlei Hinsicht einzigartig und spielen eine bedeutende Rolle im kosmischen Gefüge, welches die Beziehung zwischen den Mächtigen und den weniger Mächtigen umfasst. Hier die Wichtigsten von Ihnen:  Bevor der erste Schrei erklang, bevor Fleisch sich formte aus Fleisch, sang Aelun im verborgenen Licht. Sie ist die Hüterin der Schwelle zwischen Nichtsein und Leben, die Begleiterin durch Blut und Hoffnung. Aelun kam mit einem Kuss aus Licht und einem Mantel aus Nabelschnüren. Sie sprach zu den Sternen: „Ich bin der Anfang der Endlichen.“ Wenn eine Seele ruft, geboren zu werden, ist Aelun schon dort. Sie hält die Hand der Mütter, wiegt das Kind mit Stimmen aus der Tiefe. Doch ihre Macht ist zweiseitig. Denn sie kennt auch den Tod im Beginn, die Leere in der Fülle, und ihre Tränen stillen die, die kein erstes Weinen hören dürfen. Ihr Zeichen ist ein Kreis in einem Dreieck, ihr Tempel der Schoß der Erde, und ihre Priesterinnen sind Hebammen, deren Hände Leben leiten. 
 In den Tagen, als das Wild noch sprach und die Wälder selbst wandelten, rührte sich ein Hauch im Nebel und aus diesem Laut wurde Elarin geboren. Er war hochgewachsen wie eine Tanne, sein Haar war aus Moos, sein Blick klar wie ein Bergsee im Morgengrauen. Ein Pfeil war stets an seiner Seite, geschärft mit dem Zahn des ersten Wolfs. Elarin jagte nicht aus Hunger, sondern aus Ehrung. Er sprach mit dem Wild, bat es um seinen Leib und sang ein Lied, wenn das Herz zu schlagen aufhörte. Seine Anhänger ritzen sein Zeichen – drei gekreuzte Spuren – in Bäume, bevor sie zur Jagd schreiten. Und wer ohne Achtung tötet, dem entsagt der Wald, bis auch sein Atem versiegt. 
 Als die Götter die Erde ordneten und Sonne und Regen ihren Tanz begannen, stieg Garlom vom östlichen Horizont herab, mit Schultern wie Hügelrücken und Händen, breit wie Ackerland. In seinem Rücken wuchs Weizen, aus seinem Schritt spross Klee und wo sein Atem fiel, wuchsen Bohnen und Gerste. Er trug den ersten Pflug auf seiner Schulter, geschmiedet aus Himmelserz, mit einer Furche so tief, dass die Regenwürmer sangen. Garlom lehrte die Menschen, Samen mit Hoffnung zu füllen und den Rhythmus der Jahreszeiten zu achten. Er war der Erdhüter, der Schweigende, dessen Lied man im Wind der Felder hört. 
 Als der Wind das erste Mal durch ein hohles Rohr fuhr und ein Ton erklang, den selbst die Götter nicht erwartet hatten, da entstand Lisara. Sie trat aus einem Klang, nicht aus Materie. Ihre Füße berührten nie den Boden, ihr Haar bestand aus Klanglinien und ihre Augen waren zwei vibrierende Saiten. Lisara lehrte die Menschen die Lieder, den Rhythmus des Blutes, den Takt des Regens ,und wie selbst ein gebrochenes Herz klingen kann. Sie wohnt in jeder Flöte, schläft in jeder Harfe und weint in jeder Stimme, die ein Lied aus Liebe oder Kummer trägt. Barden und Sänger nennen sie die Unsichtbare, doch wenn ihre Laune gut ist, spielt sie selbst – und selbst die Steine tanzen. 
 Wo Schmerz war, kam sie. Nicht mit Donner, nicht mit Blitz, sondern mit einer warmen Berührung. Mirenya wandelt durch Lazarette und Hütten, durch dunkle Zimmer und offene Felder. Sie spricht leise, und jedes Wort ist ein Pflaster. Sie kennt jedes Kraut beim Namen, jeden Knoten im Leib, jeden Bruch im Geist. Doch ihre Macht ist nicht unendlich. Sie heilt, was geheilt werden will. Was sich weigert, lässt sie gehen – mit Würde, nicht mit Bitterkeit. Ihre Gläubigen tragen ihr Zeichen – zwei Hände, verschränkt über einem Herz – auf Haut, Amulett oder Gebetstuch. Sie schwören, Leid nicht zu fürchten, sondern ihm mit Mitgefühl zu begegnen. Mirenyas Tempel riechen nach Salbe, klingen nach Liedern, und sind still, wenn das Wunder beginnt. 
 Bevor noch Zeit war und bevor Worte ihre Bedeutung fanden, war ein Gefühl – warm, rund, still. Aus ihm trat Myrrha hervor, barfuß, mit offenen Armen und mit Augen, die alles sahen und alles verziehen. Sie war weder jung noch alt, weder Frau noch Mann und doch war sie alles zugleich. Ihr Herz war ein funkelnder Rubin, der in der Brust aller Liebenden widerhallte. Myrrha lehrte den Kuss, das Flüstern zwischen zwei Pulsen, das Versprechen im Blick und die Kunst, den anderen zu sehen, wie er wirklich ist. Doch auch Eifersucht und Verlangen lagen in ihrem Schatten – und sie weint, wenn Liebe zu Besitz wird. Man ruft sie heimlich, beim ersten Brief, beim letzten Blick ,und ihr Zeichen ist ein offenes Herz mit Dornen an der Wurzel. 
 Als der erste Streit in Blut endete,und der zweite in Gerechtigkeit, da trat Tharon aus dem Stein. Er ist schwer wie Gesetz, kantig wie das erste geschriebene Wort. Seine Stimme ist wie Hammerschlag auf Erz und sein Blick kennt keine Tränen. In einer Hand hält er das Schwert, in der anderen die Waage. Doch sein Urteil fällt nie im Zorn, nur im Schatten der Wahrheit. Tharon errichtete die erste Mauer, nicht gegen Feinde, sondern gegen Unrecht. Er sprach: „Wahrheit ist das Fundament, Gnade das Tor.“ Sein Zeichen ist eine gerade Linie durch ein zerbrochenes Rad. Richter und Gesetzgeber verehren ihn, doch er gehört niemandem – nur dem Recht selbst. 
 Als das Grollen der ersten Berge verklang und die Kuppelhallen der Zwerge noch stumm lagen, stieg aus der Tiefe des Urgesteins ein Flüstern auf – das Tropfen uralten Wassers auf jungfräulichem Erz. Tragur, der Bärtige, erwuchs aus diesem Klang. Sein Leib war aus schwarzem Basalt, seine Adern führten Quellwasser und Gletscherblut. Er trug einen Gürtel aus gefrorenem Schaum und in seiner Hand einen Hammer, der aus einer versteinerten Muschel geschmiedet war. Er wanderte durch das unterirdische Labyrinth und rief die Wasseradern beim Namen:„Thurn! Bakla! Igral!“ – und sie folgten seinem Ruf.Er bohrte Quellen in dürren Stein, ließ Flüsse durch die Tiefen fließen und schuf die ersten Brunnen, aus denen die Kinder der Tiefe tranken. Die Zwerge nannten ihn Quellmeister, den Tränker der Höhlen, den Stillen Tropfer. Doch auch an der Oberfläche beteten Hirten zu ihm, wenn Quellen versiegten. 
 Als die Welt noch still lag, in Dämmerung und Staub, riefen die Berge – und der Wind antwortete. Turell kam mit dem ersten Sturm. Er schrie nicht, er sang. Sein Körper ist Rauch, seine Füße berühren keinen Boden. Er trägt einen Stab aus gebogenem Holz, an dem tausend Windspiele hängen. Turell bringt Veränderung. Er säuselt im Frühling, heult im Herbst, flüstert in den Ohren der Träumenden und reisst Banner von den Zinnen der Könige. Er liebt die Freiheit, die Reise, das Unerwartete. Kein Haus kann ihn halten, kein Gesetz ihn binden. Sein Zeichen ist ein Wirbel aus drei Linien, seine Kinder sind Boten, Jäger und Poeten, und jeder Atemzug ist sein stilles Gebet. 
 In der Schmelze zwischen Tag und Nacht, wo das Licht auf das Dunkel trifft, hörte man das erste Hämmern – und aus dem Echo wurde Turund geboren. Sein Leib war aus Erz, sein Atem flüssiges Feuer. Sein Amboss stand auf dem Nordpol, sein Hammer war ein Komet. Turund schmiedete das erste Schwert, das nie rostete und das erste Schild, das selbst gegen Götter standhielt. Er war der Vater der Schmiedekunst, Lehrer der Glut, Herr der Funken. Jeder Amboss ist ein Altar für ihn und jeder Hammerschlag ein Gebet. 
 Als der erste Tausch geschah – eine Muschel gegen ein Messer, ein Lächeln gegen eine Lüge – da öffnete sich die Welt für Varek. Er trat in einem Mantel aus Goldsplittern hervor, doch seine Hände waren leer. Sein Lächeln zeigte Zähne, die zugleich versprachen und bedrohten. In seiner einen Hand wog er Silber, in der anderen Schuld. Seine Worte klangen süß, doch schnitten wie verstecktes Glas. Varek lehrte die Menschen den Handel: das Zählen, das Feilschen, den Wert der Dinge und der Zeit. Doch wer ihn betrügt, dem verflüchtigt sich der Gewinn wie Nebel. Seine Gläubigen ritzen sein Zeichen – zwei gegeneinander stehende Münzen – in ihre Waagen und Türschwellen. Sie wissen: Ein Handel ist ein Schwur,und Schwüre gehören den Göttern. 
 In der Stunde zwischen Dämmerung und Nachtschlich ein Wind durch die Welt, leise wie ein Diebesatem, kühl wie der Blick einer Katze. Aus diesem Wind wurde Velgana geboren, Tochter des Unbekannten, Schwester der List. Sie trug einen Schleier aus Sternenstaub, ihr Lächeln war das Verschwinden einer Münze, ihr Schritt hinterließ keine Spur im Sand. Velgana lehrte die ersten Diebe die Kunst der Finger, das Schweigen des Atems und wie man Türen öffnet, die nie für einen bestimmt waren. Sie sprach in Rätseln und ihr Segen war ein stilles Zwinkern. Doch wehe dem, der ihre Gabe missbrauchte: Velgana vergisst nie –und ihre Strafe kommt auf leisen Sohlen. 
 Bevor Worte Sinn hatten, bevor der Verstand sich ordnete, gab es das Chaos der inneren Stimmen – und Velyra webte daraus ihr Gewand. Sie tanzt rückwärts durch Spiegel, spricht in Farben, lacht bei Stille und schweigt bei Lärm. Ihr Haar ist aus Gedankenfäden, die sich in Knoten und Flammen winden. Sie sieht die Welt in tausend Schichten und erkennt Wahrheit, wo andere nur Wahn vermuten. Velyra ist die Patronin der Wahnsinnigen, der Träumer, der Propheten, derer, die zwischen den Welten gehen. Manche sagen, sie ist verrückt – doch sie sagt: „Die Welt war es zuerst.“ Ihr Zeichen ist ein Auge mit drei Pupillen. Ihre Tempel sind aus Labyrinthen gebaut und wer sie betritt, kehrt entweder erleuchtet zurück – oder nie mehr ganz. 
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